Regionalverbände präsentieren Handelsmonitor Oberrhein

21.09.2017

Lebendige Innenstädte und Ortszentren: positive Entwicklung des Einzelhandels durch Regionalplanung


Der Einzelhandel prägt unsere Innenstädte und Ortskerne. Er gestaltet das Stadtbild, übernimmt Versorgungsfunktionen und unterliegt zugleich enormen Veränderungsprozessen. Der zunehmende Online-Handel, die Dominanz weniger Anbieter und der Rückzug inhabergeführter Geschäfte stellen die bekannten Strukturen und damit auch Anzahl und räumliche Verteilung der Betriebe in Frage. Flankierend treten die raumordnungsrechtlichen Vorgaben hinzu, die den (großflächigen) Einzelhandel an die planerisch sinnvollen Standorte lenken und die Funktionsfähigkeit der Zentralen Orte sowie die verbrauchernahe Versorgung sichern. „Unser Ziel sind Lebensräume, in denen die Menschen einkaufen, Behördengänge erledigen, Kultur und Gastronomie erleben, einander begegnen und ihren Ort erleben können. Um lebenswerte Zentren und Ortskerne zu erhalten, braucht es den Einzelhandel möglichst nahe bei den Menschen“, so Staatssekretärin Katrin Schütz (Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg).

Der heute (21. September 2017) in Offenburg vorgestellte „Handelsmonitor Oberrhein“ beleuchtet nun zum zweiten Mal nach 2008 den gesamten Bestand des Einzelhandels in den Regionen Mittlerer Oberrhein und Südlicher Oberrhein. „Handel ist Wandel. Mit dem zeitlichen Längsschnittvergleich haben wir zahlreiche Erkenntnisse über die dynamischen Veränderungen der Einzelhandelslandschaft in unseren Regionen gewinnen können“, erläutert Prof. Dr. Gerd Hager, Direktor des Regionalverbands Mittlerer Oberrhein.

Der Vergleich mit den Standort- und Betriebsdaten von 2008 lässt es darüber hinaus erstmals zu, die Wirksamkeit der bestehenden landes- und regionalplanerischen Steuerungsinstrumente und ihre praktische Umsetzung beispielhaft für die Region Oberrhein zu prüfen. „Die regionale Planungspraxis auf einer derart umfassenden und großräumigen Datenbasis zu evaluieren, ist bundesweit ein Novum“, unterstreicht Dr. Dieter Karlin, Direktor des Regionalverbands Südlicher Oberrhein.

Mit einem Jahresumsatz von rund 483 Milliarden Euro hat der Einzelhandel einen hohen volkswirtschaftlichen Stellenwert. In der Untersuchungsregion am Oberrhein (Regionen Mittlerer und Südlicher Oberrhein) stellt der Einzelhandel mit rund neun Prozent der Beschäftigten nach dem verarbeitenden Gewerbe den stärksten Wirtschaftszweig im regionalen Arbeitsmarkt dar. „Der stationäre Einzelhandel erfüllt eine Versorgungsfunktion. Er ist zudem auch ein wichtiger Frequenzbringer für lebendige Innenstädte“, erklärt Philipp Frese, Präsident des Handelsverbands Südbaden. Aber: „Der Wettbewerbsdruck auf die Einzelhandelslandschaft in unserer Region steigt, insbesondere durch den Online-Handel.“


Auch Dr. Steffen Auer, Präsident der Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein, sieht große Herausforderungen: „Außerhalb der größeren Städte mit guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kämpfen viele Innenstädte gegen Erosionsprozesse. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Vom Fehlen innovativer Handels- und Gastronomiekonzepte über die Konkurrenz aus dem Internet bis hin zur Notwendigkeit fokussierter kommunaler Förderung eines attraktiven städtischen Umfelds.“

Und auch bei der Nahversorgung knirscht es bisweilen: Neue Lebensmittelmarktstandorte, aber auch die Modernisierung, Erweiterung oder Verlagerung bestehender Standorte, sind umstritten. Viele Lebensmittelmärkte sind heute mehr als 20 Jahre alt, die Haustechnik modernisierungsbedürftig, oft ist der Abriss günstiger als der Neubau. Viele Bürger wünschen sich einen attraktiven Supermarkt vor Ort – das Ob und Wie der Umsetzung wird jedoch vielfach in den Konzernzentralen getroffen.

„Die starken und attraktiven Städte und Gemeinden im Projektgebiet zwischen Bruchsal im Norden und Müllheim im Süden unternehmen erhebliche Anstrengungen, um ihre Versorgungsstrukturen zu erhalten und weiterzuentwickeln“, weiß Landrat Dr. Christoph Schnaudigel, Verbandsvorsitzender des Regionalverbands Mittlerer Oberrhein. „Diese Prozesse werden durch die regionalen Planungsträger nachhaltig begleitet.“

Dazu zählt, dass raumwirksame Einzelhandelsvorhaben, die bei 800 Quadratmetern Verkaufsfläche beginnen, sich in die regionalplanerischen Gebote und Verbote einfügen müssen – sprich: am richtigen Ort platziert und verträglich gegenüber der Innenstadt und den Nachbargemeinden sein müssen. Diese Steuerung ist jedoch nur dann zu rechtfertigen, wenn die mit der Steuerung verfolgten Ziele – etwa die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung und der Erhalt der Innenstädte – auch tatsächlich erreicht werden.

„In der Medizin wird die Wirksamkeit der angewandten Medikamente regelmäßig geprüft. Bei Handelsbetrieben mit mehr als 800 Quadratmetern Verkaufsfläche wurden die Folgen auf regionaler Ebene allenfalls bruchstückhaft untersucht“, so Dr. Stefan Holl, Geschäftsführer der GMA Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung, Ludwigsburg. Als Mitautor bestätigt er, dass die von der GMA vorgelegte Studie diese Lücke schließt: „Sie prüft, ob die regional- und landesplanerisch verfolgten Ziele tatsächlich eintreten“.

Auftraggeber der Studie waren die Regionalverbände Mittlerer Oberrhein und Südlicher Oberrhein sowie die Industrie- und Handelskammern Südlicher Oberrhein und Karlsruhe. In der projektbegleitenden Arbeitsgruppe waren darüber hinaus der Handelsverband Südbaden und die Industrie- und Handelskammer Straßburg vertreten. Das Land Baden-Württemberg (Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau) hat die Studie maßgeblich gefördert. Die gegenüber dem Vorläuferprojekt vorgenommene Erweiterung des Untersuchungsraums wurde von der Stadt Freiburg sowie den sieben Mittel- und Unterzentren aus dem Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald kofinanziert.

Im Rahmen des Handelsmonitors Oberrhein wurden im Projektgebiet zwischen November 2016 und Februar 2017 rund 12 400 Betriebe mit einer Gesamtverkaufsfläche von rund 3,3 Millionen Quadratmetern erhoben. Zudem beinhaltet die Studie einen Vergleich der Einzelhandelsentwicklung in Frankreich und Deutschland im grenzüberschreitenden Raum. Dieser basiert auf Datengrundlagen, die die Industrie- und Handelskammer Straßburg (Chambre de Commerce et d‘Industrie Alsace Eurométropole) den Projektpartnern zur Verfügung gestellt hat.

Wesentliche Ergebnisse der Studie:

  • Im Betrachtungszeitraum 2008 – 2017 wurde die Position der Zentralen Orte verbessert. Das Ziel einer ausgewogenen Verteilung der Versorgungsleistung der Zentralen Orte, das Kongruenzgebot, wird durch die Planungspraxis umgesetzt und zeigt positive Wirkungen.

  • Die in der Untersuchungsregion ausgewiesenen Zentren versorgen die ihnen zugewiesenen Verflechtungsbereiche im mittel- bis langfristigen Bedarfsbereich adäquat und ausgewogen. Kein Mittelzentrum hat ein „Übergewicht“ gegenüber einem anderen Zentrum erlangt.

  • Durch das Integrationsgebot werden Neuansiedlungen auf die Zentren und Vorranggebiete (integrierte Lagen) orientiert, neu entstandene großflächige Betriebe mit zentrenrelevantem Kernsortiment orientieren sich zu 73 Prozent auf diese integrierten Lagen.

  • In der Untersuchungsregion wurden nach 2008 keine großflächigen Ansiedlungen realisiert, die eine maßgebliche Beeinträchtigung des Zentrums und/oder der Nachbarzentren befürchten lassen. Auch hier kommt der Regionalplanung positive Steuerungswirkung zu.

  • Die Nahversorgung hat sich seit 2008 verbessert. Fast 60 Prozent der Bevölkerung der Untersuchungsregion wohnen heute in fußläufiger Entfernung zu einem qualifizierten Lebensmittelmarkt.

Die Betrachtung der tatsächlich vollzogenen Einzelhandelsentwicklung in den 183 Städten und Gemeinden der Wachstumsregion Oberrhein unterstreicht den Hand-lungsspielraum aller Planungsträger. „Es gibt keine Lösungen nach Schema F“, führt Dr. Stefan Holl aus: „Erst nach der Zusammenschau der konkreten Rahmenbedin-gungen wie Einzugsgebiet, Wettbewerbssituation usw. sowie auch des jeweiligen Betriebstyps und der geführten Sortimente sind Aussagen zur Genehmigungsfähigkeit möglich.“

Dem pauschalen Vorwurf der Überregulierung und der hohen Komplexität der Instrumente erteilen die Verfasser der Studie eine klare Abfuhr. „Die tatsächlich eingetretenen Folgen, die durch die Studie gemessen wurden, unterstreichen, dass die landes- und regionalplanerischen Gebote und Verbote eine rechtssichere Planungsgrundlage sind, und ihre beabsichtigten Ziele in der Region auch erreichen“, so Dr. Dieter Karlin. Erfreut zieht er für die Arbeit der Regionalverbände das Fazit: „Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse belegen erstmals empirisch die positive Wirkung unserer raumordnerischen Instrumente auf die Entwicklung des Einzelhandels.“

Prof. Dr. Gerd Hager ergänzt, dass diese Fragestellungen auch von großem wirtschaftspolitischen Interesse sind: „Über den Einzelhandel führen wir derzeit auch einen bundesweiten und europäischen Diskurs. Ich bin zuversichtlich, dass der Handelsmonitor hierzu wertvolle Impulse geben kann.“